COVID-19 UND AUTOIMMUNITÄT

Feb 20, 2023 | Aktuelles

  1. Einleitung

Die Covid-19 Pandemie hat uns alle ziemlich unvorbereitet getroffen. Jetzt, im dritten Jahr nach Ausbruch der Seuche, sehen wir aufgrund der grossen Anstrengungen und den Fortschritten in der Grundlagenforschung sowie der klinischen Erfahrungen doch schon etwas klarer. Besonders interessant in diesem Zusammenhang das – im Vergleich zu anderen viralen Erkrankungen – vermehrte Auftreten postinfektiöser Autoimmunphänomene und mainfester Autoimmunerkrankungen bei/nach Covid-19.  Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass noch nie in so kurzer Zeit so viele Arbeiten über dieses Thema publiziert wurden (ein „Covid-19 Paper Tsunami“), erscheint es berechtigt, SARS-CoV2 als das „Autoimmunitätsvirus“ zu bezeichnen.

2. Angeborenes und adaptives Immunsystem

Angeborenes (Englisch innate) Immunsystem

Wie bei jedem Kontakt mit Fremdantigenen wird auch bei Covid-19 zunächst das angeborene Immunsystems aktiviert. Das ist im Fall von Covid-19 sehr ausgeprägt durch den Anstieg der Granulozyten/Lymphozyten Ratio im peripheren Blut und der Serumspiegel von proinflammatorischen Zytokinen manifestiert. Diese proinflammatorischen Zytokine, wie Interleukin-1 (IL-1), IL-6, IL-8, IL-18 und Interferon γ (IFNγ), werden vor allem von Zellen des angeborenen Immunsystem (Granulozyten, proinflammatorische M1 Monozyten und natürliche Killerzellen-NK Zellen) produziert. Falls das angeborene Immunsystem die Infektion allein nicht eindämmen kann, kommt es – wie bei jeder Infektion – in einem zweiten Schritt, und zwar mit Hilfe der erwähnten Zytokine, zur Aktivierung des adaptiven Immunsystems mit seiner Fähigkeit zur Unterscheidung von „Selbst“ und „Fremd“, seiner Spezifität und dem Erinnerungsvermögen (Engl. Memory). Neutralisierende Antikörper gegen Oberflächenantigene von SARS-CoV2 (Spike(S) – Glykoprotein, Envelope – Glykoprotein, Membran – Glykoprotein) eliminieren das Virus unter Aktivierung des der angeborenen Immunität zugehörenden Komplementsystems (IgG und IgM Antikörper über den klassischen Weg. IgA Antikörper- das Schutzschild von mukosalen Oberflächen – können die Komplementkaskade über den sogenannten Alternativweg aktivieren.

Adaptives Immunsystem

Zusätzlich zur erwähnten humoralen Abwehrrektion mittels neutralisierender Antikörper werden Virus-spezifische T-Zellen stimuliert, die nicht das Virus selbst attackieren, sondern virusinfizierte Zellen (z.B. Lungenalveolar – oder Darmepithelzellen) zerstören und so die intrazelluläre Virus Vermehrung verhindern.

Im Rahmen der sich bei Covid-19 entwickelnden Lymphopenie sind T-Zellen besonders betroffen. Sie verfallen in einen „Erschöpfungszustand“ (Engl. exhaustion) und ähneln funktionell jenen von alten Menschen, d.h., nehmen einen Zustand ein, der dort als zelluläre „Immunoseneszenz“ bezeichnet wird. Dieser Zustand wird durch ein besonderes Muster der Zytokinsynthese charakterisiert, das als Seneszenz assoziierter sekretorischer Phänotyp (SASP) bezeichnet wird. SASP geht wieder mit einer verstärkten Expression proinflammatorischer Zytokine und proapoptotischer Signalmoleküle (p16 INK4A, PD-1, MIS) einher.

Die Fähigkeit zur Unterscheidung von körpereigenen und körperfremden Antigenen erwirbt das adaptive Immunsystem im Thymus (T-Zellen) und im Knochenmark sowie im Intestinaltrakt (B-Zellen). Die „Schulung“ von CD4+ T-Zellen  im Thymus ist besonders wichtig, weil (a) B-Zellen (Plasmazellen) für die Bildung von Antikörpern in den meisten Fällen die Hilfe von CD4 T-Helferzellen (Th) benötigen (nur Antikörper gegen Antigene mit sich wiederholenden, antigenen Sequenzen, z.B. bakterielles Lipopolysacharid – LPS, können B-Zellen ohne Hilfe von Th produzieren); (b) CD8+ T-Zellen – wie erwähnt – virusinfizierte Zellen abtöten können (deshalb werden sie als cytotoxische T-Zellen-Tc bezeichnet).

Sowohl CD4+ Th als auch CD8+ Tc durchlaufen im Thymus einen Selektionsprozess, bei dem potentiell autoreaktive Zellen eliminiert werden. Einige wenige T-Zellen (und B-Zellen in ihren Reifungsorten, wie Knochenmark und Intestinaltrakt) entkommen allerdings diesem Selektionsprozess und überleben im Thymus und der Peripherie. Diese potentiell gefährlichen, autoreaktiven Zellen werden durch regulatorische T-Zellen (Treg) (im Fall von B-Zellen Breg) in Schach gehalten. Wenn eine quantitative oder qualitative Störung von Treg vorliegt, proliferieren diese wenigen autoreaktiven Lymphozyten, und es kommt zur Entwicklung von Autoimmunreaktionen. Das Auftreten von humoralen oder zellulären Autoimmunreaktionen ist allerdings nicht mit der Entwicklung manifester Autoimmunerkrankungen gleichzusetzen; d.h., Autoimmunität ist nicht gleich Autoimmunerkrankung!

Damit eine organspezifische oder systemische Autoimmunerkrankung auftritt, müssen nämlich bestimmte genetische Voraussetzungen erfüllt sein, deren Expression noch durch Umweltfaktoren beeinflusst werden kann: die genetische Prädisposition zu einer Immunreaktion gegen ein oder mehrere Autoantigen/e (z.B. Thyreoglobulin oder Thyroid Peroxidase –TPO bei Hashimoto Thyreoiditis) und – von unserer Arbeitsgruppe  entdeckt – eine genetisch bedingte Empfänglichkeit der Zielstrukturen für die autoimmune Attacke (z.B. der Schilddrüsen-Epithelzellen bei Hashimoto Thyreoiditis).

Die Autoimmunreaktion selbst kann durch Umweltfaktoren, wie Vitamin D, oder unter Stress vermehrt produzierte Hormone (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol), beeinflusst werden. Die Immunogenität von potentiellen Autoantigenen unterliegt ebenfalls dem Einfluss von Umweltfaktoren (der Jodgehalt in der Nahrung beeinflusst z.B. die Autoantigenität von Thyreoglobulin – je mehr Jod ein Thyreoglobulinmolekül enthält, desto stärker seine autoantigene Wirksamkeit).

3. SARS-CoV2- das Autoimmunitätsvirus

Infektionen sind die wichtigsten Auslöser von Autoimmunreaktionen bzw. Autoimmunerkrankungen. Dass Viren Autoimmunphänomene auslösen können, ist seit langem bekannt. So sind Infektionen mit dem Zytomegalievirus (CMV) mit systemischem Lupus erythematosus (SLE) assoziiert, eine Coxackie B3 Virus (CB3V) Infektion kann zur Myocarditis und Zika-Virus zum Guillan-Barré Syndrom führen. Vor kurzem wurde gezeigt, dass die schon lange bekannte Assoziation von Epstein-Barr Virus (EBV) mit multip ler Sklerose (MS) tatsächlich auf eine Sequenzhomologie – einem molekularen Mimicry s. unten) – zwischen dem EBV-Transkriptionsfaktor EBV nuclear antigen-1 (EBNA1) und einem Protein des Zentralnervensystems, nämlich dem glial cell adhesion moleule (GlialCAM), beruht.

Dennoch kann man SARS-CoV2 getrost als das Autoimmunitätsvirus bezeichnen. Das beruht einerseits z.T. sicher auch auf der Tatsache, dass sich weltweit sehr viele Arbeitsgruppen mit diesem Thema beschäftigen, andererseits gibt es auch solide statistische Daten, die diese Feststellung belegen. In Abb. 1. sind die wichtigsten Autoantikörper (obere Hälfte) und nachgewiesenen Autoimmunerkrankungen (untere Hälfte) mit/nach COVID-19 dargestellt.

Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Autoantikörper, die eine funktionelle Wirkung entfalten, wie jene gegen Interferone oder G-Protein gekoppelte Rezeptoren (GPRCR). Erstere bewirken durch die Blockierung eines der wichtigsten Abwehrmechanismen des angeborenen Immunsystems (Interferone) die Entwicklung schwerer Formen von Covid-19. Letztere sind – kausal noch nicht endgültig geklärt – mit neurologischen Beschwerden von Covid-10 assoziiert, wie dem „brain fog“, dem Myalgie-Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS), sensorischen Störungen (z.B. Kribbeln in der Haut) etc.

4. Warum Autoimmunität bei/nach Covid-19?

Die möglichen Ursachen postinfektiöser Autoimmunreaktionen sind v.a. folgende:

      • Hyperstimulation des angeborenen und adaptiven Immunsystems („Zytokinsturm“)
      • Molekulares Mimicry
      • Zellschädigung durch das Virus mit der Aktivierung potentiell autoreaktiver „Bystander“ T- und B- Effektorzellen
      • Epitope Spreading
      • Virale Superantigene
      • Strukturelle Veränderung von autologen Antigenen
      • Stimulierung des Idiotypen-Antiidiotypen Netzwerks.

Aus Platzgründen sollen hier nur drei der wichtigsten Mechanismen näher diskutiert werden.

Eine Hyperstimulation des Immunsystems i.R. einer Covid-19 Infektion kann nicht nur durch das virale Spike (S)-Protein, sondern durch alle anderen, an der Virusoberfläche exprimierten Proteine (s. oben), sowie durch im Inneren des Virus lokalisierte Antigene (ss RNA, Nucleocapsid = N-Protein) erfolgen.

Die Hyperstimulation des angeborenen Immunsystems führt zur Produktion exzessiver Mengen proinflammatorischer Zytokine, wie IL-6 und TNFα und in der Folge zur bereits erwähnten Erschöpfung (Exhaustion) von T-Zellen und einem Anstieg von neutrophilen Granulozyten, ein Umstand, der sich in dem Anstieg der Granulozyten/Lymphozyten Ratio widerspiegelt.

Eine schwere Covid-19 Erkrankung führt ausserdem zu erhöhter Expression sogenannter „Todesrezeptoren“ (z.B. programmed cell death receptor-1 = PD-1) auf der Oberfläche von T-Zellen, was ebenfalls zur Entwicklung der Lymphopenie beiträgt.

Schliesslich trägt auch die Expression von ACE2, dem Rezeptor für SARS-CoV2 an der Oberfläche von T-Zellen, zu deren direkter Zerstörung durch das Virus bei.

Im Zustand des Zytokinsturms werden auch die im Normalzustand von Treg supprimierten, wenigen, potentiell autoreaktiven Lymphozyten polyklonal stimuliert (funktionell „mitgerissen“) und entkommen der Kontrolle durch Treg. Dieses Phänomen äussert sich dann in Form der diagnostisch beobachteten Autoimmunreaktionen (Abb. 1).

Eine Hyperstimulation des Immunsystems führt aber nicht nur zur Proliferation von Effektorzellen der angeborenen Immunität und schlummernden, autoraktiven Effektorzellen der adaptiven Abwehr, sondern auch zur Freisetzung von Autoantigenen aus den geschädigten Zellen/Geweben. Diese Autoantigene werden dann dem adaptiven Immunsystem durch antigenpräsentierende Zellen (APC), v.a. dendritischen Zellen, präsentiert und induzieren Autoimmunreaktionen bzw. Autoimmunerkrankungen

Unter dem Begriff „antigenes Mimicry“ versteht man das Phänomen, dass bestimmte Aminosäurensequenzen (z.B. Hexapeptide) von Virusproteinen eine Identität, oder zumindest eine immunologisch relevante Ähnlichkeit (Mimicry), mit humanen Proteinsequenzen aufweisen. Eine Immunreaktion gegen solche virale, antigene Peptidsequenzen kann dann zu einer immunologischen Kreuzreaktion mit dem menschlichen Gegenstück, also einer autoimmunen „Verwechslungsreaktion,“ führen (Abb.2).

Das Phänomen des antigenen Mimicry ist – wie oben erwähnt – schon lange als Auslöser von Autoimmunreaktionen/-erkrankungen bekannt. Im Fall von SARS-CoV2 wurde allerdings besonders intensiv nach dieser Möglichkeit der Grundlage für die beobachteten Autoimmunerkrankungen gefahndet. In zahlreichen Publikationen wird nämlich bereits berichtet, dass Peptidsequenzen verschiedenster SARS-CoV-2 Proteine vollständig oder teilweise Squenzhomolgien zur zahlrechen humanen Proteinen zeigen, wie z.B. Peptide fast aller in Abb.1 zitierten, von Autoimmunerkrankungen betroffenen Organe.

Unsere Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass die Atherosklerose in ihrem frühesten, klinisch noch nicht manifestem Stadium durch eine Autoimmunreaktion gegen ein phylogenetisch hoch konserviertes Stressprotein, das sog. Hitzeschockprotein 60 (HSP60) bedingt ist. Ein  Beispiel für diese Situation ist Tabelle 1 dargestellt. Es stellte sich nämlich heraus, dass zwischen bestimmten molekularen Domänen des humanen HSP60 und einem Hexapeptid des Replicase Polyproteins 1ab (PODTDc) von SARS-CoV2 eine völlige Sequenzidentität besteht. Dieser Befund hat uns zur Überlegung angeregt, dass ein derartiges antigenes Mimicry zwischen bakteriellem und humanem HSP60 auch eine Rolle bei den i. R. von Covid-19 häufig beobachteten kardiovaskulären Erkrankungen spielen könnte.

Eine weitere, ebenfalls experimentell und klinisch belegte Möglichkeit der Induktion an Autoimmunität bei/nach Covid-19 ist die Fähigkeit bestimmter Komponenten von SARS-CoV2, als Superantigen zu fungieren. Superantigene stimulieren eine zelluläre Immunreaktion indem sie sich an die β-Kette des T-Zell Rezeptors (TCR) und die β-Kette des Major-Histocompatibility Complex (MHC – beim Menschen HLA Komplex) binden, ohne dass eine Antigenpräsentation in klassischer Form über den MHC selbst erfolgt (Abb.3.)

Es kommt bei der T-Zell Stimulierung mit einem Superantigen zur Expansion von Klonen, die eine spezielle Variante der T-Zell Rezeptor (TCR) β-Kette exprimieren, an die sich bestimmte Superantigene „aussen“ binden und diese T-Zellen auf diese Weise stimulieren können. Im Fall der schweren Form von Covid-19 bei Kindern, dem Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C), handelt es sich um die Expression des TCR variable β-Ketten Gens TRVB-11-2. Das „Ur“-Superantigen ist bakterieller Herkunft, nämlich des Staphylokokken Enterotoxins B (SEB). Dieses als Sag bezeichnete Superantigen hat eine eindrucksvolle Sequenzhomologie mit einem Peptid des S1-Glykoproteins von SARS-CoV2. Eine chronische Exposition von Covid-19 Patienten gegenüber dieser Sag-ähnlichen Superantigensequenz führt zur Stimulation von potentiell autoreaktiven T-Zellen und so – mit Hilfe von CD4+ Th Zellen – zur Produktion von Autoantikörpern und autoreaktiven T-Effektorzellen. Diese humoralen und zellulären Autoimmunreaktionen können dann bei entsprechender, genetisch determinierter Empfänglichkeit der antigenen Zielstruktur (s.oben)  zur Entwicklung von klinisch manifesten Autoimmunerkrankungen führen. Sag-ähnliche molekulare Motive wurden bereits früher bei verschiedenen Viren entdeckt, wie EBV, HSV1, Ebola, CMV, HIV, Rabies, humanen endogenen Viren (huEv), etc

5. Autoimmunität nach Impfungen

Alle Impfungen haben bekanntlich Nebenwirkungen, die allerdings im Vergleich mit den Symptomen der zu verhindernden Krankheit meist sehr mild und äusserst selten sind. Das gilt auch für die verschiedenen bisher zugelassenen Impfungen gegen Covid-19. Impfskeptiker, -verzögerer und – gegner scheinen also ein Defizit in Bezug auf die Fähigkeit zum Interpretieren von Statistiken zu haben; sonst müssten sie erkennen, dass beispielsweise manifeste Autoimmunerkrankungen nach Impfungen um das Tausend- bis Millionenfache seltener sind als bei/nach Covid-19 selbst. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass diesen seltenen, schweren Nebenwirkungen keine Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, insbesondere, wenn Impfstoffe betroffen sind, die mit einem immunitätsverstärkenden Zusatz (= Adjuvantien) versehen sind, wie z.B. die auf den Markt drängenden proteinbasierten bzw. aus gesamten, abgetöteten SARS-CoV2 Viren bestehenden Produkte. Im Fall von Vektor-basierten Impfostofen wird nicht nur eine spezifische Immunantwort gegen den eigentlichen Impfstoff, also bestimmte Viruskomponenten erzeugt, sondern auch gegen die jeweiligen Vektoren, im Fall der Astra-Zeneca oder Johnson & Johnson Impfstoffe die Hülle eines Adenovirus. Diese viralen Vektoren scheinen ein Adjuvans – ähnliche Wirkung zu haben. Bei mit Adjuvantien verstärkten Impfstoffen wird das angeborene Immunsystem massiv angeregt, was in der Folge (s. oben) bekanntlich zu Autoimmunreaktionen des adaptiven Immunsystems führen kann. Auch mRNA-basierte Impfstoffe können die Entwicklung von Autoimmunreaktionen zur Folge haben. Diese Impfstoffe enthalten zwar keine klassischen Adjuvantien, die für die stabile „Verpackung“ verwendeten Lipidpartikel entfalten aber eine Adjuvans – ähnliche Wirkung.

Im Prinzip gelten für durch Impfstoffe hervorgerufene Autoimmunreaktionen die gleichen Regeln bezüglich der auslösenden Mechanismen, wie die Hyperstimulation des Immunsystems, antigenes Mimikry zwischen Impfstoffen und humanen Proteinen, Superantigenwirkung, etc. Es hat sich bei postvakzinalem Auftreten von Autoimmunerkrankungen allerdings gezeigt, dass es sich in diesen Fällen meist nicht um de novo auftretende Phänomene, sondern um die Aktivierung oder Reaktivierung von latenten Erkrankungen handelt. Bei Impfungen von Patienten mit bereits bestehenden Autoimmunerkrankungen ist daher Vorsicht geboten. Patienten, deren Autoimmunerkrankungen therapeutisch gut kontrolliert sind, sollten aber doch – und zwar ohne Sistieren der Therapie – geimpft werden, da sie zur Gruppe von Menschen mit besonders hohem Risiko für schwere Formen von Covid-19 zählen.

6. Long Covid und Autoimmunität

Wenn klinische Symptome von Covid-19 bis zu 3 Monate nach der Infektion anhalten, spricht man streng genommen von Post-Covid-19. Bestehen Symptome auch nach dieser Periode bzw. länger als 6 Monate, wird dieser Zustand als Long-Covid bezeichnet. Letztere Nomenklatur wird von manchen Fachleuten kritisch gesehen, ist aber wohl nicht mehr auszurotten.

Dieses Thema würde den Rahmen der vorliegenden Abhandlung sprengen. Es ist aber klinisch relevant, wie sich in zunehmenden Mass herausstellt, dass die meisten chronischen Symptome bei Long-Covid auf autoimmunen Mechanismen beruhen. So sind z.B. ME/CFS- und FMS-ähnliche Zustände mit dem Auftreten von Autoantikörpern gegen kleine autonome Nervenfasern (Small autonomous nerve fibres – Nachweis mittels Immunhistochemie oder Immunfluoreszenz) bzw. Autoantiköper gegen adrenerge (B1/2), muskarinerge (M3/4) und AT1-Rezeptoren (G-Protein gekoppelte Rezeptoren-GPCR  – Nachweis mittels ELISA) assoziiert. Ausserdem empfiehlt es sich, bei Long-Covid natürlich auch nach anderen Autoantikörpern zu suchen als nur jenen, die mit Thrombosen assoziiert sind, wie Autoantikörper gegen Thrombozyten, Plättchenfaktor 4 (PF4) und Phospholipide. Dazu zählen verschiedenste systemische und organspezifische Autoantikörper (z.B. ANA, anti-Schildrüsenantigene , etc.). Auch die Bestimmung von proinflammatorischen Zytokinen, Komplementfaktoren, zirkulierenden Immunkomplexen, Immunglobulinen und deren Subklassen (IgG 1-4), sowie von Markern für aktive Fibroseprozesse (z.B. Prokollagen III) ist angezeigt (Abb1).

Die Ursachen für Long-Covid sind noch nicht geklärt. Eine plausible, allerdings kausal bisher unbewiesene Möglichkeit ist die Persistenz des Erregers, oder Teilen davon, über lange Zeiträume in Nischen des menschlichen Körpers und damit die Aufrechterhaltung einer chronische Überstimulation des Immunsystems.

Eine genaue Definition der Diagnose „Long-Covid“ ist bekanntlich noch nicht verfügbar, aber eine exakte, professionelle labormässige Abklärung ist jedenfalls ein unverzichtbares Hilfsmittel für die Diagnose und Therapie dieser oft autoimmun bedingten Beschwerden.

7. Schlussbemerkungen

Zusammenfassend müssen Ärzteschaft und Gesundheitsbehörden im Rahmen der politisch fälschlicherweise als beendet erklärten Corona-Pandemie vermehrtes Augenmerk auf das Auftreten von Autoimmunreaktionen und – erkrankungen legen. Erstere sind als Warnsignale für eventuell später manifeste Erkrankungen aufzufassen.

Long-Covid ist häufiger als in Österreich kolportiert und sollte – wie in anderen Ländern – als grosse gesundheitspolitische Herausforderung gesehen werden. Diese Erkenntnis würde allerdings viel bessere organisatorische, therapeutische und rehabilitative Ansätze erfordern als bisher hierzulande verfügbar. Die Expertise auf dem Gebiet der Autoimmunerkrankungen scheint diesbezüglich besonders gefragt zu sein.

Was Impfungen gegen Covid-19 betrifft so gilt die altbewährte Erkenntnis: Die Erde ist rund, Benzin brennt und Impfungen schützen vor Infektionskrankheiten. Die im vorliegenden Text diskutierten autoimmunen, postvakzinalen Nebenwirkungen sind im Vergleich zu damit verhinderten schweren Erkrankungen um Grössenordnungen seltener, ein Befund der inzwischen durch zahlreiche internationale Statistiken belegt ist, was auch für Skeptiker leicht verständlich sein sollte.