Eine neue Therapie für M. Alzheimer?

Apr 12, 2023 | Allgemein, Allgemeines, News

Morbus Alzheimer (Alzheimer Disease – AD) ist die häufigste Ursache für Demenz. Die Erkrankung ist durch extrazelluläre Ablagerungen (Plaques) von Amyloid β (Aβ) Protein und intrazellulären Ansammlungen (Tangles) von phosphorylierten Tan Proteinen im Gehirn bedingt. In den letzten Jahren wurden grosse Anstrengungen unternommen, Aβ mit Hilfe spezifischer monoklonaler Antikörper über eine Antikörper-mediierte Phagozytose aus dem Gehirn zu entfernen. Auch Studien zur eventuellen Aβ-Eliminierung durch körpereigene Antikörper nach Immunisierung mit Aβ wurden durchgeführt; diese mussten aber wegen schwerer entzündlicher Nebenwirkungen frühzeitig abgebrochen werden. Ähnliche Probleme ergaben sich auch nach passiver Immunisierung mit den erwähnten, wenngleich humanisierten monoklonalen Antikörpern. Erstaunlicherweise – und fachlich umstritten – wurde allerdings einer dieser monoklonalen Antikörper (Aducanumab) von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zur therapeutischen Verwendung beim Menschen zugelassen, obwohl dessen Verabreichung ebenfalls zu teils schweren, entzündlichen Nebenwirkungen führen kann; in diesen Fällen wurden mittels bildgebender Methoden sogar entzündliche „amyloid-related imaging abnormalities“ beobachtet.

In einer jüngst erschienenen Publikation einer koreanischen Arbeitsgruppe (Ref.) wird nun ein neuer, nicht mit Entzündungsreaktionen einhergehender Weg zur Entfernung von Aβ aus dem Gehirn beschrieben.

Normalerweise ist antigenes Material (Viren, Bakterien Aβ, etc.), das von Antikörpern überzogen (opsonisiert) ist, für Makrophagen besser „fressbar“ als solches ohne gebundene Antikörper. Immunkomplexe aus Antigen und Antikörper (v.a. IgG) binden nämlich mit ihrem Fc Teil an Fc-Rezeptoren an der Oberfläche von Phagozyten (v.a. Makrophagen), werden von diesen aufgenommen und durch einen Entzündungsprozess zerstört. In diesem Fall werden aber auch die in der Umgebung von Aβ-Antikörper Komplexen lokalisierten neuronalen und Gliazellen im Gehirn unter der Mitwirkung von bzw Verstärkung durch Komplement zerstört. Solche abgetöteten Zellen werden dann ihrerseits über einen als „Efferozytosis“ bezeichneten Phagozytoseweg entfernt.

Die Efferozytose verläuft über einen durch eine separate Familie von Phagozyten-Rezeptoren gesteuerten Prozess. Die wichtigsten Mitglieder dieser Rezeptoren auf den Makrophagen sind jene der TAM (TYRO3, AXL, MERTK) Familie von Tyrosin Kinase Rezeptoren, die tote Zellen durch brückenbindende Liganden (GAS6 und PROS1) in ähnlicher Weise wie das Fc-Rezeptor System erkennen. Im Gegensatz zu letzterem produziert die TAM – mediierte Efferozytose allerdings antiinflammatorische Signale, um unerwünschte Autoimmunreaktionen zu verhindern. Eine modifizierte Efferozytose wäre also ein idealer, neuer Weg, um Aβ aus dem Gehirn ohne entzündliche Komplikationen zu entfernen.

Da natives GAS6 selbst Aβ nicht spezifisch erkennen kann, haben die Studienautoren (Ref.) bei humanem GAS6 (das auch mit Mäuse – TAM reagiert) jene Sequenzen, die Aβ – wie oben beschrieben – ohne Stimulierung einer Entzündungsreaktion (!) erkennen, unter Verwendung molekulargenetischer Methoden durch den variablen (Fab, also Fc – freien) Anteil der bereits zugelassenen monoklonalen anti-Aβ Antikörper Adocanumab (s.oben) ersetzt. Dieses Konstrukt (= anti – Aβ Antikörper Fab Fragment + GAS6) führt nun also GAS6 spezifisch an im Gehirn abgelagertes Aβ heran und bewirkt über eine entzündungsfreie Phagozytose durch Mikroglia / Makrophagen dessen Eliminierung.

In einem Mausmodell für AD wurden durch Behandlung mit anti-Aβ-GAS6 bereits eindeutige Erfolge erzielt. Es hat sich ausserdem gezeigt, dass TAM-Rezeptoren nicht nur von Mikrogliazellen, sondern auch von Astrozyten, also den beiden wichtigsten Phagozyten im Gehirn, exprimiert wird.

Klinische Studien bezüglich der Anwendungen dieses neuen Medikaments beim Menschen sind derzeit in Planung, und für die Zukunft scheinen sich auch Chancen für die Behandlung anderer Erkrankungen des zentralen Nervensystems, wie M. Parkinson (anti – α-Synuclein), M. Huntington (anti – Huntingtin) oder amyotrophe Lateralsklerose (anti – Superoxid Dismutase) zu eröffnen. In weiterer Folge könnten dann auch verschiedene Autoimmunerkrankungen nach diesem Prinzip behandelt werden.

Referenz:

Jung, H. (2022, August 4). Anti-inflammatory clearance of amyloid-β by a chimeric Gas6 fusion protein. Nature. https://www.nature.com/articles/s41591-022-01926-9?error=cookies_not_supported&code=edd1d16e-bb80-44a0-9343-3b33dfc62702