Molekularer Wirkungsmechanismus von Metformin
Die Wirkungen des Metformins erklären sich durch die selektive Beeinflussung einer Komponente der Atmungskette auf der inneren Mitochondrienmembran. Dieses primäre Target (Komplex I, „NADH Oxidase“) ist ein Riesenmolekül mit fast 50 Untereinheiten. Metformin baut sich an einer bestimmten Stelle in diesen Komplex ein und führt zu einer leichten Hemmung der oxidativen Phosphorylierung. Als Konsequenz der verminderten ATP Produktion steigt der zelluläre Spiegel von AMP an. Dieses Signal wird u.a. von einem AMP-regulierten Enzym der Glykolyse (Phosphofructokinase) und – als wohl wichtigstem Effektor – von der AMP-Kinase registriert. Dies führt langfristig zu adaptiven Veränderungen im Fettstoffwechsel, im Glukosestoffwechsel, zur Neubildung von Mitochondrien , Aktivierung bestimmter Sirtuine, Bremsung von mTOR und Aktivierung des für die Tumorabwehr wichtigen Proteins p53. Ausserdem fungiert die AMP-Kinase als Gegenspieler der durch Fruktose aktivierten Bildung von Harnsäure und vieles andere mehr.
Metformin-Gefahren überschätzt – Nutzen unterschätzt
Ein großer Nachteil der Einschätzung von Risiken versus Nutzen von Arzneimitteln ist das Verhalten der Ärzteschaft für im Beipackzettel von Metformin genannten Kontraindikationen, z. B. Herzinsuffizienz und – enorm wichtig – Einschränkung der Nierenfunktion. Dies mag damit zusammenhängen, dass manchmal in Schadensersatzprozessen die im Beipackzettel genannten Einschränkungen geltend gemacht werden. Der Inhalt des Beipackzettels ist jedoch lediglich eine ehemals zwischen Anbieter und der Zulassungsbehörde ausgehandelte Vereinbarung, die auch längst durch neue Erkenntnisse überholt sein kann. Unser Handeln wird von Paragraph 1 des Ärztegesetzes bestimmt, der belegte wissenschaftliche Erkenntnisse als wichtigste Grundlage unseres Vorgehens vorgibt. Somit ist die Verwendung von Metformin („off-label“) als Medikament bei Polycystischem Ovarialsyndrom (PCO), bei metabolischem Syndrom und Prädiabetes aus dieser Sichtweise absolut gerechtfertigt. Die Begrenzung oder das Verbot der Metformingabe ab bestimmten Serumkreatininwerten erscheint ebenfalls überholt. Allerdings ist zu fordern, dass entsprechende Labors einen standardisierten – auf Massenspektroskopie beruhenden – Assay anbieten, der dem verordnenden Arzt den „steady-state“-Spiegel von Metformin auch bei Einschränkung der Nierenfunktion als Richtschnur angibt. Es ist hierfür zu empfehlen, die Dosis von 1.5 – 2 Gramm pro Tag auf 0.5 – 1 Gramm bei Kreatininwerten von 1.5 – 2 mg/dl zu reduzieren. Im Verhältnis zum erwarteten Nutzen wären die Kosten der Bestimmung (Metformin ist extrem preiswert) von den Krankenkassen zu tragen.
Die Nachteile von Metformin (nach einigen Jahren kann es zu einem Vitamin B12 Mangel kommen – Ursache ungeklärt – lässt sich leicht korrigieren) und die bei Beginn einer Therapie zu beobachtenden gastro-intestinalen Nebenwirkungen sind gegenüber dem Nutzen vernachlässigbar. Die immer als schwerwiegende unerwünschte Wirkung zitierte Laktazidose (Begründung für Herzinsuffizienz als Kontraindikation) ist in klinischen Studien (Vorbehalt: ausgewählte und überwachte Patienten!) nicht beobachtet worden und sollte bei Messung der Plasmaspiegel (therapeutischer Bereich ist bekannt) zu vermeiden sein. Für keines der in den letzten Jahren neu eingeführten Antidiabetika konnte bislang eine ähnlich günstige Wirkung wie die von Metformin belegt werden. Ist die Metformin-Wirkung auf Blutzucker und HbA1c nicht mehr ausreichend, sollte es aufgrund der vorliegenden Ergebnisse trotzdem weiter beibehalten werden. Beim Psoriatiker mit metabolischem Syndrom ist Metformin als Ergänzung zu Methotrexat (MTX) ethisch vertretbar, und ein Behandlungsversuch über 6 Monate könnte neben der Verbesserung der kardiovaskulären Risikofaktoren auch die Psoriasis-Symptomatik verbessern, ggf. zu einer Verminderung der MTX Dosis führen.
Em. O.Univ.Prof. Dr. med.Hartmut Glossmann
Literatur beim Verfasser ( hartmut.glossmann@i-med.ac.at)