Gezielte Verabreichung von Östrogenen als Therapie beim Metabolischen Syndrom

Jan 15, 2013 | Hormondiagnostik, News

In einem jüngst erschienenen Artikel in Nature Medicine beschreibt eine deutsch-amerikanische Arbeitsgruppe einen hochinteressanten neuen pharmakologischen Zugang zum Problem Diabetes Typ 2/Obesitas/Metabolisches Syndrom (DOMS), der hier kurz skizziert werden soll.
Östrogene wirken gegen DOMS, indem sie Leptin-ähnlich den Appetit drosseln und andererseits auch den Energie-Verbrauch steigern. Die Gabe von Östrogenen wäre allerdings bedenklich, da sie abgesehen von den gynäkologischen Wirkungen u.a. das Risiko für Mamma-Carcinom erhöhen. S.g. SERMs (selective estrogen receptor modulators), wie sie bei postmenopausalen Frauen gegen Osteoporose eingesetzt werden, sind bei DOMS auch keine sichere Alternative, da auch die Zellspezifität von SERMs noch nicht hinreichend abgesichert ist.
 
Die vorliegende Arbeit beschreibt nun zum ersten Mal die kovalente Verknüpfung von Östradiol-17ß mit GLP1 (glucagon-like peptide 1)*), also die Verbindung eines lipophilen und daher diffusiblen Steroidhormons mit einem hydrophilen, nichtdiffusiblen Peptid, welches in dieser Form an einen Membranrezeptor binden kann, um wirksam zu werden; mit anderen Worten, eine Kombination des genomischen Signaling-Wegs der Steroide (= Aktivierung von Kernrezeptoren zu Transcriptionsfaktoren) mit dem nichtgenomischen Signaling-Weg von Peptidhormonen. Die Idee dahinter wurde in dem Terminus „targeted delivery of estradiol“ zusammengefasst, d.h. dem Östradiol seine aufgrund der Lipophilie eingeschränkte Zellspezifität zu nehmen und ihr die (höhere!) Zellspezifität des GLP1 (vermittelt durch GLP1-Membranrezeptoren) „aufzupfropfen“.
 
Die Wahl des GLP1 war darüberhinaus natürlich auch eine wohlüberlegte, nämlich beruhend auf dem Wissen, dass GLP1 alleine Insulin-koagonistisch wirkt (indirekt!), in dem es
(a) Pancreas-Beta-Zellen stimuliert, mehr Insulin zu produzieren („Insulin-Sekretagogue“) und (b),in dem es das Sättigungszentrum im Hypothalamus aktiviert, womit also der Blutzuckerspiegel sinkt. Über längere Sicht kann die GLP1-Gabe auch zu einer Gewichtsreduktion führen.
 
Durch diese kovalente chemische Verknüpfung wurdewie die Resultate zeigten (die hier aber nicht im Detail beschrieben werden können) – ein doppelter Syn– und Koagonismus erreicht. Ein absolutes pharmakologisches Novum, in welchem die klassischen endokrinologischen (hypophysio-, utero-, mammotropen und mammo-mitogenen ) Wirkungen des Östradiol 17ß zurückgedrängt und die oben erwähnten metabolotropen (d.i. Appetit dämpfenden und Energieverbrauch steigernden) hervorgekehrt und mit den metabolotropen des GLPS1 selber potenziert worden sind. Dieser Ansatz kann als technisches Vorbild und Modell für weitere Therapiestrategien der Zukunft dienen.
 
*) GLP1 und GLP2 werden wie Glucagon vom Präproglucagon-Gen codiert. Im Gegensatz zu Glucagon (aus Pancreas-Delta-Zellen) werden die GLPs von intestinalen Epithelzellen („L“-Zellen) sezerniert, in Antwort auf  Nahrungsaufnahme. Und wieder im Gegensatz zu Glucagon, das bekanntlich eine dem Insulin entgegengesetzte Wirkung auf den Blutzucker aufweist, wirkt GLP1 dem Insulin synergistisch.
 
Ref.:
B. Finan et al.
Targeted estrogen delivery reverses the matabolic syndrome
Nat. Med. 18(12):1847-1856 (2012)
 
Univ.Prof.Dr.Siegfried Schwarz
Biozentrum, Sektion f. Experim. Pathophysiologie & Immunologie, Medizinische Universität Innsbruck