“Saisonale Gene”

Jun 2, 2015 | Allergiediagnostik, News

Ein wesentliches Forschungsgebiet der modernen Genetik ist die Epigenetik, d.h. die Beeinflussung der Genexpression durch äussere Faktoren. In diesem Zusammenhang gewinnt die Aufklärung epigenetischer Mechanismen bei der Funktion des Immunsystems immer mehr an Bedeutung.
 
In einer kürzlich in „Nature Communications“ (1) erschienenen Arbeit wird der Einfluss der Jahreszeit auf die Aktivität von fast 23000 Genen in Zellen des Immunsystems und teilweise auch Fettzellen bei Kleinkindern aus Deutschland und Erwachsenen aus Grossbritannien, Australien, den USA und Island untersucht. Dabei zeigten sich signifikante Unterschiede der Expression der gleichen Gene im Sommer im Vergleich zum Winter. Die meisten saisonal aktiven Gene beeinflussen die Funktion des Immunsystems selbst. So wiesen Stimulatoren, wie Leukotriene oder Prostagladin-Rezeptoren im Winter höhere Konzentrationen auf als im Sommer, während immunsuppressive Komponenten, wie Glukokortikoid-Rezeptoren, im Winter schwächer exprimiert waren. Die gesamten Resultate weisen darauf hin, dass das menschliche Immunsystem sich im Winter in höherer Alarmbereitschaft befindet als im Sommer. Evolutionär gesehen, handelt es sich hier wahrscheinlich um eine Anpassung an die jeweiligen Lebensräume. Im Lebensraum der untersuchten Populationen sind beispielsweise Infektionserreger aktiver und häufiger als im Sommer und das Immunsystem muss daher schneller reagieren. Diese Hypothese wird nach Meinung der Autoren auch dadurch untermauert, dass Probanden aus Gambia im Zeitraum von Juni bis Oktober, d.h. zur dortigen Regenzeit, ein ähnliches Reaktionsmuster aufwiesen wie Europäer im Winter.
Derzeit gibt es noch keine Erklärung für dieses Phänomen. Wahrscheinlich ist es vom Licht oder der Temperatur während der entsprechenden Jahreszeiten abhängig.
 
Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, Autoimmunerkrankungen sowie Allergien sind bekanntlich von der Aktivität des Immunsystems abhängig. Höhere Konzentrationen von proinflammatorischen Substanzen könnten daher eine Erklärung für das vermehrte Auftreten von Herzinfarkten im Winter sein. In Bezug auf Allergien würde dies wahrscheinlich nur für ganzjährige Erkrankungen zutreffen, die nicht von saisonaler Allergenexposition beeinflusst werden.
Im weitesten Sinn könnte man auch überlegen, ob Impfungen im Winter wirksamer sein könnten als im Sommer.
 
 
 
Ref. (1)
Dopico XC et al.
„Widespread seasonal gene expression reveals annual differences in human immunity and physiology“
Nat Commun. May 12;6:7000 (2015)
 
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25965853