Die Rolle von Östrogenen bei der Geschlechtsverteilung von Autoimmunerkrankungen

Nov 12, 2016 | Hormondiagnostik, News

Frauen sind bekanntlich für die meisten Immunerkrankungen empfänglicher als Männer. Einer der Gründe für diese Tatsache könnte darin bestehen, dass Östrogene bei der „Erziehung“ von T-Zellen im Thymus zur Vermeidung von Selbstreaktivität eine Rolle spielen. Während ihrer Reifung werden nämlich T-Zellen im Thymus einer Selektion unterworfen, die bewirkt, dass potentiell stark autoreaktive Zellen eliminiert werden.
Interessanterweise werden im fetalen Thymus fast alle körpereigenen Proteine von Thymusepithelzellen (TECs) exprimiert und können so von den reifenden T-Zellen „gesehen“ werden. Jene T-Zellen, die körpereigene Antigene im Thymus mit hoher Affinität erkennen und daher potentiell gefährlich sind, werden eliminiert. Man bezeichnet dieses Phänomen als zentrale Toleranz. (Im Gegensatz zur peripheren Toleranz, wie sie z.B. durch die Desensibilisierung im Rahmen der Allergiebehandlung induziert wird.)
 
Die Expression der körpereigenen Gewebs-spezifischen Proteine in den TECs wird durch einen multifunktionellen Transkriptionsfaktor, den Autoimmune Regulator (AIRE) kontrolliert. Die Expression von AIRE selbst wird durch Sexualhormone beeinflusst. Die Behandlung von humanen TEC-Kulturen in vitro mit Östrogenen führt zu einer Downregulierung der AIRE-Expression. Dasselbe gilt für humanes Thymusgewebe, das in immundefiziente Mäuse transplantiert wurde. Östrogen bewirkt auch eine Upregulierung der Anzahl der methylierten CpG-Stellen im AIRE-Promotor, was ebenfalls zu einer Verminderung der AIRE-Expression führt.
 
Zusammenfassend sprechen diese Daten dafür, dass im weiblichen Organismus Östrogene epigenetische Veränderungen des AIRE-Gens bewirken, die ihrerseits zu einer verminderten AIRE-Expression im Thymus führen und damit auch zu einer verminderten Verfügbarkeit von negativ selektionierenden Autoantigenen kommt. Die Folge wäre dann die Erhöhung der Empfänglichkeit von Frauen für Autoimmunerkrankungen.
 
 
 
Ref.
Dragin N. et al.
„Estrogen-mediated downregulation of AIRE influences sexual dimorphism in autoimmune diseases“
J Clin Invest. Apr 1;126(4):1525-37 (2016).
 
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26999605