Frühe Verabreichung von Gluten schützt nicht vor Zöliakie

Nov 11, 2014 | Immundiagnostik, News

Bei normalen Menschen führt die orale Verabreichung von Antigenen, z.B. Fleischproteinen, zu einer immunologischen Toleranz gegen diese Antigene. Im Gegensatz dazu bewirkt die parenterale Applikation von Antigenen (i.v., s.c., i.m.) bekanntlich eine positive Immunreaktion. Die Entwicklung einer oralen Toleranz beruht auf der Aktivierung sog. regulatorischer T-Zellen (Tregs) im Gastrointestinaltrakt, die die entsprechende Immunreaktion im gesamten Organismus unterdrücken.
 
Es ist daher logisch, dass man versucht, dieses Prinzip therapeutisch anzuwenden, z.B. bei Autoimmunerkrankungen, wo die pathogen wirksamen Autoantigene klar definiert sind. So ist es im Mausmodell möglich, die Entwicklung eines Diabetes Typ I durch Verfütterung von Insulin zu verhindern bzw. zu heilen. Auch im von G. Wick geleiteten Labor für Autoimmunität an der Medizinischen Universität Innsbruck verwendet man dieses Prinzip erfolgreich, um die Entwicklung einer Atherosklerose zu verhindern (http://www.autoimmunity.at).
 
In einer im Oktober 2014 im „New England Journal of Medicine“ publizierten Arbeit haben SL Vriezinga et al. in logischer Konsequenz solcher Überlegungen an 944 Babies im Alter von 16 bis 24 Wochen untersucht, ob eine frühzeitige Verabreichung kleiner Mengen von Gluten die Inzidenz einer später erwarteten Zöliakie vermindert. Da es sich bei der Zöliakie um eine Erkrankung mit genetischer Prädisposition handelt, wurden nur HLA-DQ2- und HLA-DQ8-positive Probanden in die Studie aufgenommen. Die Hälfte der Kinder erhielt während dieser Periode 100 mg Gluten/Tag, die andere Hälfte ein Plazebo. Im Alter von 3 Jahren wurden alle Kinder auf klinische Symptome von Zöliakie, sowie in Bezug auf pathohistologisch fassbare Veränderungen in der Dünndarmbiopsie (77 Kinder), Autoantikörper gegen Transglutaminase Typ 2 und Antikörpern gegen Gliadin untersucht.
 
Die Auswertung all dieser Parameter ergab keinen Schutz vor Zöliakie durch frühzeitige Verabreichung von Gluten.
 
Wir finden das interessant, aber nicht ganz plausibel. Es ist nämlich schon im Tierversuch äusserst problematisch, eine optimale tolerogene Dosis für die Induktion einer oralen Immuntoleranz zu eruieren, und beim Menschen dürfte das noch viel schwieriger sein. Wahrscheinlich ist eine Dosis von 100 mg nicht optimal bzw. zu hoch. Uns überrascht das Ergebnis nicht, wir sind eher erstaunt, dass diese relativ hohe Dosis nicht zu einer vermehrten Sensibilisierung gegen Gluten geführt hat.
 
 
Ref.
SL Vriezinga et al.
„Randomized feeding intervention in infants at high risk for celiac disease“
N Engl J Med. 2014 Oct 2;371(14):1304-1315.
 
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25271603