Krankheitsüberblick Nr.3: Chronische spontane Urticaria

Nov 7, 2022 | Immundiagnostik, News

Die chronische spontane Urticaria (CSU, ICD-11 EB00.1), früher als chronische idiopathische Urticaria bezeichnet, wird der akuten spontanen Form als Überschreitung der Symptomdauer von sechs Wochen an den meisten Tagen der Woche  gegenübergestellt. Beide sind wiederum von der induzierbaren (akuten oder chronischen) „physikalischen“ Form abzugrenzen. Die Prävalenz der CSU beträgt 1,5%.

Ätiologie

Ein exogener ätiologischer Faktor ist per definitionem nicht bekannt, auch wenn bestimmte exogene Stimuli das Krankheitsbild verstärken können.

Pathophysiologie

Als zentraler Mechanismus gilt die Degranulation von Mastzellen mit der Freisetzung von Histamin, Tryptase, Cathepsin G, den Zytokinen IL-3, IL-5, TNF alpha und IFN gamma sowie von Metaboliten der Arachidonsäure. Diese Substanzen wirken auf Gefäße, sensible Nervenendigungen sowie auf eosinophile und neutrophile Granulozyten und führen zur Ausprägung von Rötungen, Schwellungen sowie Juckreiz. Die zusätzliche Expression von IL-13 und IL-33 durch die Mastzellen sowie der epithelialen Zytokine IL-25 und TSLP drückt die relative Dominanz von TH2-Zellen aus, die u.a. die IgE Expression von B-Zellen bedingt. TH2 Zellen setzen auch das Mastzell-aktivierende Zytokin IL-4 frei. Eine klare chronologische pathophysiologische Abfolge läßt sich allerdings bisher noch nicht ausmachen.

Die Aktivierung der Mastzellen kann zum einen durch immunologische Mechanismen erfolgen, wobei bei 35% der Patient*innen IgG Autoantikörper gegen den IgE Rezeptor oder gegen IgE selbst eine Aktivierung des IgE Rezeptors auf der Mastzelloberfläche bewirken. Auch zirkulierende CD4 positive Zellen gegen die Alphakette des IgE Rezeptors sind in dieser Patientengruppe nachzuweisen. In diesem Zusammenhang ist auch die Expression autoreaktiver IgE Antikörper relevant, die nicht nur autoimmunologische Symptome hervorrufen können, sondern über die Bindung an den o.g. Rezeptor zu einer Mastzellaktivierung führen. (Die Aktivität von basophilen Granulozyten ist von autoimmunogischen Faktoren unabhängig!) Doch auch allergologisch induzierte IgE Antikörper beteiligen sich an der Mastzellaktivierung.

Auf der anderen Seite besteht eine erhöhte spontane Freisetzungsaktivität der Mastzellen, die man einer erhöhten Konzentration bestimmter Mastzellproteine zuschreibt.

Festzustellen ist auch eine Aktivierung der Blutgerinnungskaskade, eventuell verstärkt durch Infektionen, die weniger zu einer Ausbildung eines Blutgerinnsels, als vielmehr zur Aktivierung von Endothelzellen und über eine Plasmaextravasation zu einer Mastzellaktivierung führt.

Letztlich ist der positive Einfluss von Mikrovesikeln, die von T-Zellen abgeschnürt werden, auf Mastzellen beschrieben.

Histopathologie

Während die induzierbare Urticaria keine zelluläre Infiltration der Haut aufweist, kann man bei der CSU eine perivaskuläre Ansammlung von CD4+ T-Lymphozyten vom Typ TH1 und TH2, Monozyten und allen drei Linien der Granulozyten feststellen. (Basophile sind durch die Umverteilung in die Läsionen sekundär im Blut vermindert). Mastzellen sind in den Strata reticularis et fibrosum der Dermis perivaskulär und periaxonal nachweisbar.

Klinik

40% der Fälle zeigen ein Angioödem oder dermale sowie subkutane Schwellungen bzw. Quaddeln. Eine Differentialdiagnose zu einer physiklaischen Urticaria muss immer gestellt werden. Der Juckreiz rührt von der Aktivität von IL-31. Patient*nnen mit CSU zeigen auch vermehr koexistente Autoimmunerkrankungen, insbesondere der Schilddrüse, Zöliakie, Sjögren Syndrom, rheumatoide Arthritis und Diabetes mellitus Typ I.

Zumeist kommt es innerhalb von 2-5 Jahren zur spontanen Remission. Zwischenzeitlich beginnt man therapeutisch mit der Verabreichung von Hochdosis H1 Rezeptor-Antagonisten der dritten Generation, welche in 50% der Fälle greift. Versager dieser Therapiestufe können der Gabe von 150-300 mg des IgE-blockierenden monoklonalen Antikörpers Omalizumab zugeführt werden, wodurch eindrucksvolle Remissionen bei 70% der Fälle – und von diesen bei 40% Komplettremissionen- erzielt werden können. Als Mechanismus vermutet man, dass die Abnahme der IgE Konzentration zu einer Reduktion der IgE Rezeptoren an der Mastzelloberfläche führt. (Wichtig ist das Versagen von Omalizumab bei physikaliascher Urticaria.) Letztlich steht nach sechs erfolglosen Injektionen die Therapie mit 200 mg Ciclosporin / Tag als dritte Linie zur Verfügung, welches die Histaminfreisetzung aus Mastzellen und Basophilen hemmt. Alledings nimmt man in diesem Fall Nebenwirkungen auf Blutdruck und Nierenfunktion in Kauf, die es streng zu beobachten gilt. Mit diesem Stufenbau gelingt es, 93% aller Patient*innen zu therapieren. Die verbleibenden 7 % werden mit Dapson oder Sulfasalazin behandelt. Cortison wird nur bei akuten Symptomen mit einer Dosis von 30 mg / Tag für drei Tage und 5 mg / Tag für weitere fünf Tage verabreicht.

Labordiagnostik

Ein Screening von Gesunden wird nicht empfohlen. Bei klinischen Symptomen ist eine venöse Blutabnahme vorzunehmen. Im Blutbild zeigen sich eine Eosinophilie und eine Basopenie (bei erhöhter Basophilenaktivität). Der Tryptasespiegel ist im hoch-normalen Bereich, D-Dimer erhöht. Ein erhöhtes C-reaktives Protein (CRP), eine erhöhte Blutsenkung sowie Induktion von IL-4, IL-6, TNFα und IFNγ (bzw Neopterin) weisen auf eine erhöhte Aktivität des angeborenen Schenkels des Immunsystems im Rahmen der akuten (eventuell schubhaften) Entzündung hin. Autoimmunologisch bestimmt man anti-nukleäre Autoantikörper, Autoantikörper gegen Schilddrüsenantigene (bei erhöhtem TSH), zirkulierende Immunkomplexe und Komplementfaktoren 3 und 4 sowie die Komplementaktivität (CH 50). Eine Stuhlanalyse zur Differentialdiagnose einer Parasitose ist anzudenken. Bei Bedarf kann eine Hautbiopsie/stanze einer histopathologischen Analyse unterzogen werden.

1Mastzellen sind rund und besitzen einen runden bis ovalen, exzentrisch positionierten Nukleus sowie unzählige Granula, die mit den farbstoffen Giemsa oder Toluidinblau angefärbt werden können. Molekulare Marker sind die Carboxypeptidasen Tryptase, Chymase oder Carboxypeptidase sowie der IgE Rezeptor c-Kit. In der Schleimhaut dominiert das Enzym Tryptase (T Mastzellen), in der Haut sind alle drei Peptidasen in den Granula enthalten (TC Mastzellen). Letztere sind in der CSU die bedeutsamen.

2Auch eine Bronchokonstriktion kann auftreten.

3Man glaubt, dass IgE Antikörper durch die Bindung an den Fcε-Rezeptor diesen an der Mastzelloberfläche stabilisieren bzw. hoch-regulieren und die Erregungsschwelle der Mastzellen –eventuell über Einfluss auf das Protein MRGPRX2 auf der Mastzelloberfläche- erniedrigen.

4In gleicher Weise erfolgt auch die Aktivierung von TH2 Zellen im Rahmen bakterieller (Super-)Infektionen.

5Besonders elegant ist der Nachweis von Antikörpern der Klasse IgE (zusätzlich zu IgG) als Korrelat zu den autoimmunologischen Symptomen.

Literatur

Saini S. S. and Kaplan A. P. , Chronic spontaneous urticaria: the devil’s itch. J. Allergy Clin. Immunol. Pract 6(4). 11, 2021

Dobrican C-T. et al., Immunological signature of chronic spontaneous urticaria, Exp Ther Med 23(381), 2022

Zhou B. et al., The role of crosstalk of immune cells in pathogenesis of chronic spontaneous urticaria, Front Immunol 13, 2022