Pathomechanismus und Sero-Diagnostik der Zöliakie – Teil 1

Sep 2, 2014 | Immundiagnostik, News

Pathomechanismus
 
Die Zöliakie verdankt ihren Namen dem altgriechischen Wort κοιλιακός / koiliakos, das mit „abdominell“ übersetzbar ist, und somit noch treffender auf Englisch als celiac disease (abdominelle Erkrankung) bezeichnet wird.Der Begriff der Nicht-Tropischen Sprue steht für eine nicht-parasitäre Durchfallserkrankung und wird synonym mit Zöliakie bei Erwachsenen verwendet, ist aber immer weniger im medizinischen Sprachgebrauch.
 
Die Zöliakie ist aus zwei Gründen medizinisch bemerkenswert: Zum einen ist sie durch Nahrungsmittelkarenz heilbar. Zum anderen hat die Wissenschaft über die Zeit hinweg einen komplexen immunologischen Mechanismus nachgewiesen, der nicht nur die Erkrankung erklärt, sondern auch gezielte Diagnostik erlaubt. Wir gehen hier auf letzteren Aspekt ein.
 
Die Zöliakie ist eine lokal im Duodenum, aber auch distaleren Dünndarmanteilen ausgeprägte immunologische Über-Reaktion (Allergie) auf den Bestandteil Gluten aus dem Inneren des Weizenkorns. (Auf eine Hautbeteiligung namens Dermatitis herpetiformis wir hier nicht eingegangen.) Daraus leitet sich der ebenfalls gebräuchliche Krankheitsname Glutensensitive Enteropathie ab. Der pathophysiologische Prozeß verläuft wie folgt:
 
Gluten wird mechanisch im Kauakt aus dem Verband mit Stärke innerhalb des Weizenkorns freigesetzt. Enzymatisch wird dann im Dudodenum Gliadin herausgelöst, das sich den Weg in die Lamina propria unterhalb des Mucosaepithels bahnt. (Auch Gerste und Roggen enthalten Gliadin.) Dort und in der diese stützenden Muscularis mucosae erwartet das Gluten ein von verschiedenen Zellen wie den Enterozyten oder lokalen Fibroblasten sezerniertes Enzym namens Gewebs-Transglutaminase (tissue transglutaminase, tTG). Dieses deamidiert einen bestimmten Bestandteil innerhalb des Gliadins, das neutrale Glutamin, zur sauren Aminosäure Glutaminsäure. Das derart veränderte Gliadin wird nun von bestimmten Antigen-präsentierenden Immunzellen (sogenannten dendritischen Zellen) aufgenommen, degradiert und als kleine Aminosäuresequenzen (Peptide) an der Oberfläche derselben Zelle präsentiert (pro Zelle nur eine Peptidvariante). Diese Präsentation erfolgt durch HLA-Moleküle (auch MHC-Moleküle genannt), die die Peptide einzeln in einer molekularen Grube aufnehmen. Das können manche HLA-Varianten besser als andere. Bei der Zöliakie ist die Präsentation durch die Varianten HLA-DQ2 und DQ8 besonders effizient. Zeigen diese Varianten die von der Transglutaminase prozessierten Gliadinpeptide her, werden T-Zellen des Immunsystems aktiviert, die das nächste in der Lamina propria auftauchende Gliadin (quasi bei der nächsten Weizenmahlzeit), dort vor Ort dermassen ausgeprägt bekämpfen, daß eine Zytokin-getriggerte chronische Entzündungsreaktion unter Rekrutierung weiterer T-Zellsubsets entsteht. Die T-Zellen wandern in das Epithel selbst ein (so genannte intraepitheliale Lymphozyten, IELs). Interleukin-15 ist ein von den Enterozyten und dendritischen Zellen sezernierter Botenstoff, der die IELs nun weiter anfeuert. Es entwickeln sich parallel dazu noch Antikörper gegen Gliadin oder andere Glutenbestandteile.
Bis hierher handelt es sich eigentlich immer noch um ein allergisches Geschehen.
 
Interessanterweise treten im Verlaufe der Erkrankung auch Antikörper der Klasse IgA auf, die -selbst im subepithelialen Raum an Basalmembran und Fibroblasten gebundendas Patienten-eigene Enzym Transglutaminase erkennen. Diese Bindung an die Transglutaminase stimuliert einen anderen, noch nicht im Detail geklärten Mechanismus dieses Enzyms, nämlich die Störung der Integrität des duodenalen Epithels. Sie führen zu einer Proliferation der Enterozyten, einer Hemmung der Differenzierung der Enterozyten und einer erhöhten Durchlässigkeit des Epithels. Histologisch passen dazu das Auftreten von vor allem IgA-produzierenden Plasmazellen in der Lamina propria und der Nachweis von Kryptenhyperplasien.
 
Nun ist die Bahn frei für einen allergisch-autoimmunologischen Angriff auf die Duodenumschleimhaut. Es folgen nach der Kryptenhyperplasie eine entzündungsbedingte Matrixdestruktion mit Verkürzung der Villi (Atrophie) und Funktionsverlust mit Diarrhoe und Malabsorption, begleitet von abdominalen Schmerzen. Die T-Lymphozyten können bei lang andauerndem Entzündungsgeschehen dedifferenzieren und zu einem MALT-Lymphom mit sehr schlechter Prognose entarten.